Montag, 31. Januar 2011

2.) Gary Bunker erzählt und Thomas Coulson belehrt ihn




Claremont, New America, März 29, 1890






 "Hab ich euch die Geschichte von unserer Kuh Lulu, die sich verlaufen hat, erzählt?" fragte Gary Bunker, unser Kurzstop mit seiner uns so wohlbekannt, begeisterten Stimme. Wir kannten die Geschichte, natürlich. Die kostbare Familienkuh war von der Weide verschwunden. Überall wurde gesucht Kinder , Onkel und Tanten waren beteiligt. Den ganzen Tag ging es so, dann halfen auch die Nachbarn bei der Suche. Das ganze Dorf wurde abgesucht , alle Wiesen , die Wälder in der Umgebung. Alles ohne Erfolg. Dann wurde es zu dunkel und alle gingen nach Hause, aber niemand konnte einschlafen denn Lulu war der einzige Besitz der Familie und allle müssten verhungern wenn Lulu weg war (was sicherlich stark übertrieben war, denn ein anderes Mal erzählte Gary, daß seine Familie 20 Stück Vieh gehabt hätten). Niemand konnte einschlafen und erst gegen morgen war alle erschöpft doch eingeschlummert. Dann hörten sie ein kräftiges Klopfen an der Tür, rannten zur Tür und entdeckten Lulu, die von selbst nach Hause gefunden hat, mit ihren Hörnern an die Tür geklopft und nun in ihren Stall gebracht werden wollte. Die ganze Familie jubelte, war erleichtert und wieder glücklich.
 Gary war unerschöpflich was solcher Art Geschichten betraf. So saßen wir Ballspieler dann wieder beim Mittagessen in Speisesaal von Frau Bergs Pension an einem langen Tisch. Gary ein schmaler, schmächtiger Junge, er spielt Kurzstop, vielleicht 1.70 groß, er wurde eingerahmt von den beiden Werfern Tom Coulsen und David Clontz, beide rund 1.90m groß und beide sind nicht sehr schlank. Wie bei jedem Mittagessen redete und redete Gary. Er erzählte von Tante Pauli oder dem kleinen Bruder Skooter oder was auch immer.
An diesem Tag aber galt meine Aufmerksamkeit  mehr Ann-Mary. Sie ist eine der beiden Hausmädchen von Frau Berg. Zusammen mit ihrer Kollegin Wilma war es ihre Aufgabe unser Essen aufzutragen und danach abzuräumen und überhaupt in der Küche zu arbeiten. Die beiden Hausmädchen brachten also Teller und Schüsseln aus der Küche, die am Ende des Raumes hinter einer Tür war. Wir waren schon zwei Wochen bei Frau Berg untergebracht und Anne-Mary war mir schon sehr bald aufgefallen. Und so war es auch heute so, daß jedesmal wenn sie aus der Küchentür kam, in meiner Brust ein kleiner Schlag war, ein überaus freudiger natürlich, und ich sie dann mit meinen Blicken verfolgte, wie sie dann irgendein Utensil auf den Tisch stellte, dann noch prüfend umherblickte ob noch etwas fehlte und dann wieder hinter der Tür in der Küche verschwand. Auch dann fühlte ich wieder einen Schlag, allerdings diesmal einen schmerzlichen.


Das Ganze wiederholte sich dann mehrmals während des Mittagsessen und lenkt auf eine angenehme und auch spannende Weise von dem meist eintönigen Essen, wie auch von Gary`s Geschichten ab. Meinen Mannschaftskameraden erzählte ich davon natürlich nichts. Erstens war es uns verboten mit dem Hausmädchen anzubandeln, bei Strafe des Rausschmisses; zweitens hätte ich sicher eine Anlaß zu einer Reihe grober Scherze gegeben, auf sie ich keine Lust hatte. So verfolgte ich sie im Geheimen mit meinen Blicken und war von ihrer ganzen Erscheinung fasziniert ohne im Einzelnem sagen zu können warum. Ich suchte dann manchmal den Blickkontakt mit ihr wie zufällig und spürt dann wieder jenen Schlag in meiner Brust, wenn ich meinte das ihr Blick ein Bruchteil länger an dem Meinigen haftete.


Währenddessen erzählte Gary unablässig. Er begleitete den Gang der Geschichten noch mit ausladenen Gesten, die Gabel in der einen Hand, das Messer in der anderen Hand. Auch vernachlässigte er sein Esssen dabei nicht, so daß zwischendurch der ein oder andere Satz in seinen Kaugeräuschen unterging. Das war überhaupt nicht schlimm, denn er schmückte seine Geschichten mit einer Vielzahl von aberwitzigen Details und Abschweifungen aus, so das der ein oder andere Verlust nicht ins Gewicht fiel.


Anne-Mary war nun sch vor einiger Zeit in der Küche verschwunden und ich wartete gespannt darauf, daß die Tür sich wieder rühren würde. Sie blieb aber geschlossen, offenbar hatten die Mädchen ihre Arbeit fürs erste erledigt und warteten darauf, daß wir Spieler unser Essen beendeten und Sie abräumen konnten.




"..und wißt ihr , was dann passiert ist? Kommt ihr drauf?", Gary`s heutige Geschichte steuerte auf ihren Höhepunkt zu. Dann wandte er sich mit aufgeregter Stimme an mich, der ihm gegenüber saß.






"Claude, du wirst es nicht glauben!", mit diesem Ausruf, streckte er mir seine Hand entgegen bis seine Gabel wenige Zentimeter vor meiner Nase war.
"Kannst du nicht endlich einmal deine Klappe halten, Gary ?" , das war Tom, Tom Coulsen, ein Werfer, sein Nebenmann, einer der paar Älteren in unserer Mannschaft, er ist 32. "Und laß C.D. ihn Ruhe, er ist genauso krank und müde von deinen ewigen Wuschelhundgeschichten (er benutze den Ausdruck shaggy dog tales, wie kann man ihn besser übersetzen?) wie wir alle. "


Ich war ebenso überrascht wie Gary. Meine Gedanken hatten an der Küchentür und an Anne-Mary gehangen. Niemand braucht mich mich in Schutz zu nehmen und ich wollte Tom etwas in dieser Richtung erwidern. Aber die richtigen Worte kamen mir nicht so schnell in den Sinn, eine alte Schwäche von mir. Gary war schneller und wollte etwas entgegnen, aber Tom war noch nicht zu Ende:


"Gary, liebst du Jesus?" - Schweigen - "Liebst du Jesus, Gary?"
         "Was soll...? Na, klar... jeder liebt Jesus!
"Und weißt du was Jesus gesagt hat, Gary?"
         "Was Jesus gesagt hat?....Der hat ne Menge gesagt..was soll das ga..."
"Jesus hat gesagt: 'das Himmelreich ist wie ein Dieb in der Nacht. Es kommt in dem Augenblick in dem du es am wenigsten erwartest.'






          "Ja und, Tom?"


"Gary, du bist ein lausiger Ballspieler und weißt du warum?"
Bevor Gary etwas entgegnen konnte, beantwortete sich Tom seine Frage selbst:
"Weil du nicht wachsam bist, deshalb bist du ein lausiger Ballspieler. Ein Dieb könnte dir dein Unterhemd klauen während du es anhast und der liebe Gott könnte hinter deinem Rücken das Paradies aufbauen und du würdest es nicht merken."
Tom holte Luft:




"Beim Ballspiel genauso! Du bist auf dem Feld, stehst da auf deiner Kurzstop-Position. Und der Ball geht hin und her: Werfer, Fänger, Werfer, Fänger und nocheinmal und noch einmnal, und langsam kriecht die Langeweile an dir hoch. Und du guckst zu den Wolken am Himmel, siehst wie die Fahnen lustig im Wind flattern oder da in den Zuschauern steht ein hübsches Mädchen oder irgendein Idiot ruft dir ne Gemeinheit zu. Du stehts da und das alles schwirrt in deinem Kopf herum und du strickst schon an der nächsten Geschichte, die du uns auftischen wirst.


Aber dann plötzlich! In dem Augenblick, wo du ganz weit weg bist und sich tausend Dinge in deinem Kopfe drehen, das Krachen, der Schlag und du erschrickst und das kleine weiße Punkt wird rasend schnell und Wolken, Fähnchen und Mädchen fliegen aus deinem Hirn, aber zu langsam! Der Ball ist doch schon da! Ja, und er rutscht unter deinem Handschuh durch und rollt ins Außenfeld, in das Gelobte Land!




Und die anderen, sie jagen ein, zwei Läufer um die Male herum, sie jagen zum Heimmal, hinein ins Himmelreich mit zwei leuchtenden Punkten in der Nacht des Lebens , 2-0. Wo bleiben wir denn, Gary? Wir bleiben hier in diesem Fegefeuer von Claremont, Blaue Junior Liga Gruppe Nord. Wenn du ein Ballspieler werden willst, Gary Bunker, ein richtiger Ballspieler, dann darfst du nur an zwei Dinge denken, denk nur an den Ball und den lieben Gott, das reicht!"
        "Also, mein lieber Klugscheißer, Herr Thomas Coulson, wenn du so genau weißt was ein richtiger Ballspieler ist. Wie kommt es, daß du noch hier bist in diesem verfluchten Claremont spielst und nicht in Liberty (das ist New Amerikas Hauptstadt)  mit Sektglas in der Hand?"
"Weil Thomas Coulsons Zeug (engl. stuff ist die allgemeine Qualität des Werfens) nicht gut genug ist. Sein Schnellball ist nicht schnell genug und sein Kurvenball kurvt nicht genug." dachte ich. Aber es hatte keinen Sinn ihm das jetzt zu sagen. Das Spiel wird es ihm zeigen. Vielleicht wird Tom bald hinabsteigen von dem, was er als Fegefeuer bezeichnet, hinab in die Hölle. Die Hölle ist der Ort , an dem es kein Ballspiel mehr gibt für ihn. Irgendwann wird unser Manager John ihn beiseite nehmen und ihn fragen, ob er Pläne für sein Leben hat. Das ist das Urteil und die Strafe. Aber was weiß ich. "Beim Ballspiel weiß man niemals nichts", hat ein alter Mann mal gesagt.
Noch zwei Tage bis zur Saison-Eröffnung.

Sonntag, 30. Januar 2011

1.) Claremont, März 25, 1890, Eine Vorstellung




 Hier bin ich.






Wer bin ich?






Sagen wir ich bin ein junger Mann, vielleicht 20 Jahre alt. und ich bin in Neu-Amerika im Jahre 1890. Ich bin ein Handwerker. Das Handwerk, daß ich ausübe werden sie nicht kennen. Ein Tischler fertigt ein Möbelstück und es kann nützlich sein oder eine Zierde. Ein Schmied beschlägt ein die Hufe eines Pferds oder fertigt eine Klinge. Mein Handwerk hinterläßt keine Werkstücke, nichts von Dauer bleibt von meiner Arbeit. Mein Handwerk ist  das eines Ballspielers. Sie nennen das absurd? Mein Beruf ist es Ball zu spielen. Ich werde dafür bezahlt.






 Sie haben recht, meine Arbeit ist überflüssig. Kein Mensch braucht sie um ein normales Leben zu führen. Aber was ist wenn das Überflüssige das Notwendige ist? Was das bedeutet was ich nicht, aber es ist einer jener Gedanken, die manchmal in meinem Kopf kleben. Sie bedeuten etwas. Meine Arbeit ist flüchtig. Ich schlage einen Ball mit einem Knüppel, ich werfe einen Ball. Flüchtig wie der Wind oder flüchtig wie ein Gedanke. Vielleicht bleibt doch etwas, aber auch das ist nur ein Gedanke oder die Scherbe eines Gedankens. Vieles über mir selbst ist mir unbekannt. Ich taste danach. Eines aber steht fest:




Ich bin Claude D. Uchek, ein Ballspieler.