Sonntag, 15. Mai 2011

41.) Eight Rivers, im Juni 1893, Ein Tag im Museum (Teil IV)

(Fortsetzung von Post 38)

Ich sagte nichts und blickte die Wände des Raumes entlang. Sie waren fast vollständig von Bildern behangen. Diese Bilder waren sehr unterschiedlich. Das betraf einerseits ihre Größe, als auch ihre Machart. Es gab einige riesige Ölgemälde, aber auch fast winzige Miniaturen. Es gab Kohlezeichnungen und Aquarelle. Und gab unterschiedliche Qualitäten. Kunstvolle Darstellungen hingen neben sehr ungelenken Versuchen. Was war allen diesen Bildern gemeinsam? Das Motiv, sie alles stellten Ballspieler da. Natürlich, es waren der Mächt'ge Casey und Dreifinger Brown, mal als Porträt, mal in innerhalb eines Mannschaftsbildes. Aber immer waren sie herausgehoben mit unmissverständlichen Kennzeichen versehen, während die Mannschaftskameraden nur schemenhaft als Kulisse dienten. Neben den zwei genannten Spieler, war aber stets auch der dritte Spieler zu sehen.
"Was ist mit Südtatze? Haben sie kein Ausstellungsstück von ihm?"


"Das ist eine sehr gute Frage, Junger Mann. Ich werde ihnen die Frage gerne beantworten, aber erlauben sie mir ihnen eine Gegenfrage zu stellen?"


"Aber sicher!"


Er hatte allerdings meine Antwort gar nicht abgewartet und schon zu seiner Rede angesetzt.


"Sie haben die Bilder an Wänden hier sehr aufmerksam betrachtet, was ist ihnen in Bezug zu Südtatze aufgefallen?"


Er machte eine kurze Pause, aber wiederum wartete er nicht auf meine Antwort, sondern setzte fort:


"Südtatze wird immer auf eine sehr eigentümliche Weise dargestellt. Sehen sie nur, da und da, da auch. Auf jeden Bild ist es dasgleiche. Bei Casey das Tuch und der entschlossene Blick, bei Brown, die Nachdenklichkeit und Lebensklugheit und bei Südtatze ist es... ja was ist es? Nun wie sie sehen, oder besser gesagt, sie sehen es nicht! Seine Gesicht, meiner ich! Achten sie darauf, sein Gesicht ist abgewandt, nirgends sind seine Züge zu erkennen, auf keinem einzigen Bild!"


Er hatte absolut recht.


"Sie werden mir glauben, wenn ich ihnen sage, das das kein Zufall ist. Es ist Ikonographie. Er darf, ja er kann gar nicht anders dargestellt werden. Warum werden sie fragen. Was wissen wir von Südtatze. Die Quellen sind rar. Was berichtet james in "A Land too Far" von ihm?"


Auch diese Frage war nur rhetorisch. Und er begann zu rezitieren:

So standen Rot und Blau dann gegnüber
Aber ei! es fehlt ein Dritter! Wo bleibt
Er, der keine Farbe sein eigen nennt
Er, der Wanderne, den kein Gesetz je bindet
Er, der stets einsam seinem Sterne folgt
Die Südtatze ist's, er, der mit falscher
Hand den Ball wohl schleudert und gut
Sein Handwerk macht, zu gut für viele
Die mit neidvoll Miene ihn verfolgen
Der ewige Linkshänder er ist's, auf
Hiesiger Kuppe jetzt, im Aug' des Spiels
Steht er, von wilden Winden des Zorns
Umweht. ' Was will Der hier?' die Roten rufen
(siehe post 4)

Er gehört weder zu den Roten, noch zu den Blauen. Keiner kennt ihn. Keine weiß woher er kommt. Er trägt keinen Namen, bloß einen Spitznamen oder wenn sie so wollen einen nome de guerre, eben Southpaw oder Südtatze. Er wird erwartet und gleichzeitig gefürchtet. Ihm schlägt Hass entgegen, aber auch Respekt. Er spricht kein einziges Wort, nur seine Taten sprechen für ihn. Sein Aussehen findet keine Erwähnung. Ist er groß oder klein, wir erfahren es nicht. Das einzige Merkmal von dem wir hören ist dann allerdings das entscheidene. Er ist Linkshänder, seine linke Hand zeigt in Richtung Süden. Schauen sie sich doch noch einmal die Bilder an. Immer wieder ist eine Sonne zu sehen, oft eine Abendsonne, rot oder orange, sehr schön anzusehen, so ein Sonnenuntergang während des Ballspiels. So war es früher, so ist es heute noch, nicht wahr? Nun gut, sie sind selbst ein Ballspieler, ihre Aufmerksamkeit muß vollständig auf das Spiel gerichtet sein, sie haben keinen Blick dafür."

Er machte eine Pause. Hatte er seinen Faden verloren? Southpaws Schicksal schien Cairos noch intensiver zu beschäftigen als Caseys oder Dreifingers.

"Wo waren wir ? Also Südtatze, ein Mann ohne Vergangenheit, ohne Gesicht, ohne Namen, ja ohne Zukunft, denn weitere Berichte über ihn sind spärlich. Und bedenken Sie die Verse von William James, die ich ihnen eben aufsagte, sind natürlich keine Tatsachenberichte, das dürfen sie keinen Augenblick glauben. Er benutze Quellen, er hat mit Gewährsleuten gesprochen. Er hat ihre Berichte benutzt, aus Tatsachen hat er Wahres geschaffen, poetische Wahrheiten. Nur nebenbei gesagt, was die Augenzeugen betrifft, sie kennen das alte Bonmot aus der Welt der Justiz. Nichts ist unzuverlässiger als ein Augenzeuge. Amüsant, nicht wahr?
Es gibt tausende, die Casey bezeugen können oder mit und gegen ihn gespielt haben, Dreifinger Brown, er ist im hohen alter Verstorben, nicht bevor er Hochgeehrt und als Urvater des Ballspiels ausgezeichnet wurde. Mit Südtatze jedoch verhält es sich ganz anders, seine Spur verliert sich sich schnell, sehr schnell sogar. Um präzise zu sein sie verliert sich unmittelbar noch jenem ersten Spiel, danach beginnt schon die Spekulation."

Wieder eine Pause. Als wollte Cairos mir Zeit geben diese Mitteilungen in Ruhe zu erfassen. Es war allerdings eine Gedankenwelt, die mir unvertaut war, sicher faszinierend  aber auch schrullig in ihren Wendungen.

"Ich sagte Tausende können Caseys Existent bezeugen. Das ist natürlich nur bedingt zutreffend. Viele glauben ihn gesehen zu haben. Es gibt 40-jährige, die das behaupten und 80-jährige ebenfalls. Wie ist möglich? Es ist nicht möglich!  Trotzdem lügen diese Zeugen nicht. Sie glaubten Casey spielen gesehen zu haben. Sie haben gegen einen überragenden Spieler gesehen, vielleicht wurde er von seinen Mannschaftskameraden Casey genannt, denn dieser Name und sein Träger war schon Legende geworden und übertrug ich auf viele Spieler, sie Talent zeigten. Auch ist Casey kein ganz seltener Name, es mag also gute Spieler mit diesem Namen gegeben haben, sei es als Vorname oder Nachname, sei es Casey oder K.C.. All das ist möglich. es hat also viele Caseys gegeben, einer folgt auf den Anderen, jede Generation hat den ihrigen, vielleicht sogar mehr als einen. Wo aber ist der wahre Casey, der Historische Casey. Es ist eine Frage, die offenbleibt.
Steht es um Dreifinger Brown anders? Auf den ersten Blick scheint es so zu sein. Ich hatte schon erwähnt, daß er im hohen Alter verstorben ist. Während Caseys Aussehen recht unspezifisch geschildert wird, so wird doch Brown deutlich gekennzeichnet eben durch seine dreifingrige Hand, das Ergebnis eines grausigen Unfalls. Diesses Kennzeichen mag nicht einmalig sein, aber extrem selten ist es auf jeden Fall.
Was aber gibt uns die Sicherheit, daß jener Greis, der mit Ehren über Ehren bedacht wurde der Historische Casey war? Er hatte eine beschädigte Hand, wohl wahr. Aber könnte es nicht so sein, daß dieser Mann eben durch diese Verwundung allmählich dem wahren Brown zu ähneln begann? Der Name Dreifinger Brown war bereits Legende. Da war also dieser Mann mit seinen drei Fingern, ist es nicht überaus denkbar, das Kollegen oder Nachbarn ihm dieser Namen liehen ihn halb im Spaß so anredeteten und das er, der er vielleicht gar kein Ballspieler war, dass zunächst widerwillig hinnahm, als eine grobe Vertraulichkeit ansah. Das er aber irgendwann an diesem Namen gefallen fandund im laufe der Jahre oder der Jahrzehnte von sich aus in die Rolle des Ballspielers Dreifinger Brown hineinwuchs, sie annahm und ausfüllte und bezeugte. Er wurde vielleicht bestärkt durch die Tatsache, daß sich niemand fand der Widerspruch einlegte. Niemand schien zu bemerken, dass dort ein Hochstapler sich der Verdienste und des Ruhms des Dreifinger Brown bediente. Die Erinnerung an den historischen Brown muß im Laufe der Jahre sich derart abgeschwächt haben, daß es jenem Mann gelang eine Rolle zu spielen, die ihm in keinster Weise zustand. Wie gesagt es ist unendlich schwierig Gewissheit zu gewinnen. Der Nebel der Vergangenheit macht uns zu schaffen und es bedeutet unendliche Mühe ihn zu lüften."

Jetzt allerdings brannte mir eine Frage auf den Lippen:

"Mr Cairos, ihre Ausührungen schockieren sie mich! Wenn ich sie richtig verstanden haben, halten sie es für möglich oder sogar wahrscheinlich, daß Caey und Brown nie existiert haben. Wie können sie dann sagen,daß ihre Sammlerstücke, das blaue Tuch Caseys und die Barthaare von Brown echt sind?"

"Mein junger Freund, ich habe ihnen mehr erzählt als ich ursprünglich beabsichtigt hatte. Sie haben mein Vertrauen gewonnen. Aber sie haben mich ein wenig mißverstanden. Ich habe nur andeuten wollen, daß wir wenig über unsere Ballspiel-Urväter wissen und vielleicht wissen können. Vielleicht hat es sie gegeben oder vielleicht hat es sie aber auch mehr als einmal gegeben, vielleicht immer wieder, vielleicht gibt es sie jetzt in diesem Augenblick oder es wird sie geben in der Zukunft - sie blicken ein wenig ungläubig, junger Mann, denken sie mal in Ruhe darüber nach. Vieles könnten wir über die Ursprünge des Ballspiels erfahren, wenn uns der Nachlassp von John T. Halfweek zugänglich wäre."

Ja, richtig! Halfweek, der Vater und Pate des Ballspiels, Schöpfer der Regeln, Förderer des Sports, diese unermüdliche Seele. Was hat er nicht alles geleistet, ohne Rücksicht auf sein Vermögen Ballplätze angelegt Clubs gegründet. Ich fragte ein wenig zögerlich und gefaßt darauf auch jetzt eines Besseren belehrt zu werden:

"Halfweek, he really existed after all, tell me it is so, Mr Cairos!"

"Das ist unbestritten, er ist ein Mann unendlicher Verdienste um das Ballspiel. Er entspricht allerdings relativ wenig dem Bild aus "A Land too Far", wo er als ärmlicher Farmer dargestellt wird, der einer inneren Stimme folgt, einen Ballplatz baut, die Regeln schöpft und Rot und Blau versöhnt. Er war ungeheuer vermögend, ererbt. Deshalb konnte er seine gesamt Tatkraft in den Dienste des Ballspiels stellen. Was er erreicht hat, wir alle wissen das. Wie er es erreicht hat, das wissen die Dokumente, die im Besitz der Familie sind. Ein ungeheurer Schatz ist das, einer der seiner Hebung harrt. Seine Großnichte ist Hüterin dieses Schatzes und sie teilt leider nicht die ideellen Interessen unsererseits."

"She doesn't? Which kind of interests does she have?"

"500 000 Dollar",

so platzte es zischend aus ihm heraus. Für einen Augenblick des Zorns hatte er seine Manieren und gemessene Sprache hinter sich gelassen. Kurz darauf hatte sich Cairos jedoch wieder gefangen:


"Ihre Interessen sind ausschließlich ökonomischer Natur, sie verstehen, was ich meine. Sie ist der letzte Nachkomme. Sie müssen wissen, Halfweek war in keiner Weise ein Familiemensch, er hatte nie geheiratet und hatte natürlich keine Kinder, die männliche Kameradschaft ging ihm über alles, ich hoffe sie verstehen, was ich damit ausdrücken will
 Dennoch war er hoch geachtet, in politischen Kreisen, überhaupt in höchsten Kreisen, aber ebenso bei den Hafenarbeitern oder den Bauern. Er sprach jedermanns Sprache. Ein außerordentlicher Mann, in vieler Beziehung, das war er. Wie gesagt, der genannte Preis für sein Vermächtnis ist natürlich utopisch. Unter anderen Umstände hätte ich seinen Nachlass, als einen von unschätzbaren Wert bezeichnet, nun fällt mir diese Wendung ein wenig schwer, im Angesicht einer Summe, die ich aufzubringen nicht in der Lage sein werde. Es werden also viele Frage noch offen bleiben. Ihre Frage von vorhin, ich habe sie nicht vergessen, nach den materiellen Beweisen für die Existent von Southpaw, kann ich aber eine Antwort geben:
Existiert hat er nie!"
- Pause -

 "Die Idee der Südtatze aber ist unzerstörbar, sein Wille und sein Stern ist unauslöschlich"

 - Pause-

 "Ich wiederhole, sie haben mein Vertrauen gewonnen, und deshalb sagen ich folgendes: ob Casey oder Brown eine historische Wahrheit sind, an dieser Frage werde ich weiter forschen, aber das Wichtigste ist: sie leben in der Idee, die sie verkörpern und sind dadurch lebendiger, als viele Zeitgenossen, die uns tagtäglich über den Weg laufen."

Wir war jetzt langsam klar, worauf er hinaus wollte. Es gab ein ständiges Flimmern in seinen Gedanken, in seinem Museum und in unserer Welt. Vergangenheit und Gegenwart, Idee und Realität und einige andere Dinge, sie sind in ständiger Bewegung und lassen sich so schwer bestimmen, wie sich ein Wassertropfen festnageln lässt.

"Junger Mann, ich gebe den Menschen ein blaues Tuch und ein paar Barthaare, weil sie sehen wollen, bevor sie glauben. Mein Wunsch ist, daß ihnen dadurch die Idee und der Sinn des Spiels, der Sinn des Mächt'gen Casey und des Dreifinger Brown näherkommt und das sie die Südtatze verstehen lernen, das ist mein Wunsch. Ich weiß ich kann ihnen , junger Mann, vertrauen. Noch trete ich nicht an die Menschen heran mit meiner Sammlung, aber ich laße an mich herantreten. Mein Ziel jedoch ist es all das in einem angemssenen Rahmen der Öffentlichkeit zu präsentieren, daran arbeite ich und dabei ist Halfweeks Nachlass unverzichtbar."

Mir war klar, daß nun das wichtigste gesagt war. Ich hatte noch Bemerkungen und Einwände im Sinn, aber heute sollte nicht der Tag dafür sein. Was hätten diese Einwände gegolten? I am but a young catcher, a left-handed one at that, so what do I know? I do know a few things and Mr Cairos lecture became one of these things. I know about time and the past, that may seem nothing to most people, but it means a lot to me. And I feel related to people like Mr Cairos like a distant cousin of the mind. You wouldn't want to think his way every day nevertheless I am happy to know that these kinds of minds are in this world.

Ich verabschiedete mich und trat in den Tag hinaus.





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