Donnerstag, 10. März 2011

18.) Von Zwei Pferdeköpfen und anderen Wolken

Heute hatten wir einen Off-Tag (kein Spiel). Das war gut, denn auch Anne-Mary gelang es für den Nachmittag frei zu bekommen. Wir entschieden uns einen etwas weiteren Spaziergang zu machen, nach Norden aus Claremont heraus, in die Hügel, wo wir zuvor schon einmal eine schöne verlassene, mit Obstbäumen bewachsene, Wiese gefunden hatten. Sie lag an einem Hang, abseits vom Weg. Anne-Mary hatte eine Decke mitgebracht, wir breiteten sie aus und saßen nebeneinander und genossen den herrlichen Sonnentag. Ich hatte auch etwas mitgebracht - mein Lieblingsbuch "A Land So Far" von James William. Ich mag das Buch sehr, es handelt hauptsächlich vom Ballspiel, was ich natürlich auch mag und zu meiner Seite saß Anne-Mary, die ich nicht weniger mag, also begann ich ihr aus dem Buch vorzulesen:


Auf's neue nun das Spiel begann.
Welch Anblick! Dort kam er hervor
Mächt'ger Casey schwingt im Spaße
Sein Holz als wär's ein Zweiglein nur
Stark wie Herkules schlägt er den Ball
Soweit, daß die Sonne ihn versengt,
Wie Sisyphus geduldig nimmt er
Die leeren Schwünge, das Fehlen hin
Wie die Natur des Spiels es ihm gebietet
Das blaue Tuch um seinen Rindernacken,
Blickt er stolz hinein ins rote Lager
In deren Mitte sitzt ein Mann
Bedachtsam und gedankenvoll
Drei-Finger Brown wird er geheißen...

und so weiter, und so weiter.....wie absurd das alles war! An einem wunderbaren Sommertag mit einem lieben Mädchen allein auf einer abgelegenen Wiese - und was tue ich? Ich lese ihr irgendwelche ranzigen Verse vor! Ja, ich liebte diese Verse, die gedrechselten, die verstaubten, die wahrhaftigen. Anne-Mary beklagte sich nicht. Mit einem Male mußte ich lachen, über mich und Anne-Mary lachte mit, sie spürte ja die Komik des Augenblicks. Ich rezitierte aber weiter, steigerte das Pathos noch, mit schauspielerhaften Gesten und englischem Akzent, einem grotesk übertriebenen dazu. So strömten die Zeilen weiter aus meinem Mund. Zwischen den Zeilen holte ich Luft und lachte und las weiter und Anne-Mary lachte auch und feuerte mich an weiterzumachen.

"C.D., du bist ein großer Schauspieler, wirklich!" , rief sie, während ich weiter deklamierte:

Der ewige Linkshänder er ist's, auf
Hiesiger Kuppe jetzt, im Aug' des Spiels
Steht er, von wilden Winden des Zorns
Umweht. ' Was will Der hier?' die Roten rufen
'Du böser Bold, du, mach dich fort'
So schreien auch die Blauen laut
Doch ungerührt durch Tumult und Konfusion
Steht stolz Südtatze, denn Blick gen Westen
Zum Schlagmann hin und seine freie Hand
Die Tatze, hängt Richtung Mittag, an seinem Arm
Auf seiner Kuppe steht er und niemals
Wird er weichen, eh'  nicht drei Aus sind
.......


"You could act in all kind of plays, C.D., Shakespeare and vaudeville and..anything", Anne-Mary spielte die Begeisterte.
         "Yeah, you're right, all plays, the easy ones and the tough ones, Mclear..."
".. and King Hamlet.. and.... any play"
"..... even a double play or triple play, triple plays , they're the best ...by far", das rief ich zur Welt hinaus.
Und Anne-Mary bestärkte mich:

 " The Imaginary Invalid, that`s you!"

"Yeah!"

 "Or The Miser!"

"Yeah!...What?....Why do you....? Yeah...! I could act in five plays at a time and play all five acts on end!

Anne-Mary war begeistert: "Yeah, you can, thou canst, we can..!!"

"And I'll play nine innings, ... and more, if it's a tie! And thou, dearest Anne-Mary, thou art my companion in this!"

"Companion?", damit war Anne-Mary nicht zufrieden. "Hast thou forgotten Romeo and Juliet? I shall be thy beloved Juliet!"

"Of course, thou willst, no better Juliet anywhere!"

Und so alberten wir eine ganze Weile herum, überboten uns mit Verrücktheiten und neckten uns mit frechen Sprüchen und tollten so auf der Wiese hin und her. Ich spielte den Fechtkämpfer und sie die irre-traurige Ophelia. Ich war der Mclear, der alte Trottel und sie die süße Juliet, kurz danach wurde sie zur bösen Lady Mclear und ihr fieser Gesichtsausdruck machte mir tatsächlich für einen kurzen Augenblich Angst. Doch gleich wurd ich zu King Hamlet und ich sprach zu dem Apfel, den ich in der Hand hielt:

 " ...and sickeled over with the pale cast of.. A STRIKEOUT!"

"Yesss, you're the king of strikeouts, the blessed ruler over all the world's strikeouts" , rief Anne-Mary laut.

Unser Gelächter purzelte durcheinander und wir beide purzelten übereinander. Nach einer Weile schließlich sanken wir außer Atem auf der Decke zusammen. Wir blieben eine zeitlang still, lagen auf den Rücken und betrachteten den Himmel über uns. Dann fragte mich Anne-Mary:

"C.D., woran denkst du jetzt gerade?"

Ich hatte keine Ahnung, woran ich gerade dachte, also sagte ich:

"An die Wiese, die Bäume, die Wolken"

Ich drehte den Kopf zu ihr und fragte meinerseits:

"Und woran denkst du, Anne-Mary?"

"An die Wiese, die Bäume und die zwei Pferdeköpfe"

"Zwei Pferdeköpfe?", oder hatte ich da etwas mißverstanden?

"Ja, guck doch, da oben die Wolke, das sind doch zwei Pferdeköpfe!", sie deutete mit einem Finger nach oben.

"Nee, nee, das ist eine zerrissene Gardine, sieht man doch."

"Oder, ein langes weites, weißes Kleid"

"Ja, das könnte stimmen"

Wieder schwiegen wir. Es war ein Schweigen, daß die Wolken ziehen ließ und es war ein Schweigen, daß dem Rauschen der Blätter seinem Platz ließ. Ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen war, dann fragte ich sie:

"Anne-Mary, wieso sprichst du eigentlich meinen Namen, C.D., so eigenartig aus?"

"Was meinst du damit? Ich spreche ihn so aus , wie er für dich paßt. Magst du das nicht?"


"Doch, doch, ich mag das sogar sehr,aber ..trotzdem...es ist wie aus einer anderen Sprache"

"C.D., my dearest friend, it is a language that appears foreign only to thee", Anne-Mary begann wieder mit englischen Akzent zu sprechen, "ìts secret is hidden in my heart and bosom!"

"Then, Anne-Mary, my fair maid, I have to thoroughly inspect your bosom!"

Sie Sprang hoch verschränkte ihre Arme vor ihrer Brust und rief in gespielter Entrüstung:
" Nein, nein, nein, niemals!",

 und lief davon und ich hinter ihr her und so spielten, lachten  und balgten wir wieder auf unserer Wiese bis wir wieder müde waren. War es schon Abend geworden? Hell war es noch, hell wie an einem späten Sommertag. Wir lagen wieder auf unserer Decke und über uns zogen noch immer die Wolken dahin, die Blumensträuße, das wehende Tuch oder der Mann mit der Riesennase. Während wir den Himmel betrachteten, spürte ich plötzlich etwas merkwürdiges, es war ein Geruch, ich schnupperte ein wenig umher, nein, es war ein Gestank. Anne-Mary hatte ihn auch bemerkt, wir guckten uns fragend an und versuchten die Quelle des Duftes heraus zu finden. Es war mein Schuh. Besser gesagt, das was unter meinem Schuh war: Hundekot, die ganze Sohle voll. Beí unserem letzten Nachlaufen mußte ich hineingetreten sein. Anne-Mary verzog angewidert das Gesicht und dann platzte ein Lachen aus ihr heraus. Ich schrie:

"So ein Mist!"

Dann fiel wir ein, daß uns auf dem Weg kurz bevor wir die Wiese erreicht hatten, ein Mann mit Hund begegnet war. Es war ein großer dunkelbrauner Hund, ein schöner Hund mit kurzem, glänzendem Fell. Sein Herr war kurioserweise ebenfalls dunkelbraun gekleidet, und zwar vollständig, die Jacke, die Hose, die Schuhe. Es schien als ob er seinem Hunde möglichst ähnlich werden wollte, was aber nicht gelang, denn seine Kleidung glänzte nicht, sondern war stumpf, seine Haare waren zersaust, sein Gesicht unrasiert. Dieses merkwürdige Paar ging dann weiter seines Weges, aber die Hinterlassenschaft des schönen Hundes lag bereits auf der Wiese.

"Anne-Mary, ich haße Hunde!",

rief ich, ich stand da und hob theatralisch beide Arme zum Himmel empor. Sie stand vor mir und blickte mit einem feinen Lächeln zu mir hoch.
Und ich sah in ihre Augen. Und sie sagte, ganz leise:

"C.D., du kannst gar nicht hassen."

Was? Warum kann ich nicht..? War das ein Lob oder ein Tadel? Eine Sekunde stutzte ich. Natürlich war es ein Lob! Ich verstand was sie meinte und fragte dennoch:

"Warum kann ich nicht hassen?"

"Weil du viel zu lieb bist, C.D.."

Das war noch leiser gesprochen, aber es gab nie ein Wort was ich besser verstanden hätte. In meinem Herzen wurde jetzt eine Musik, die ich schon einige Zeit hörte, sehr stark. Alles hing jetzt mit dieser Musik zusammen: Anne-Marys Augen , die mich betrachteten, ihre Gestalt und ich selbst auch, meine Vergangenheit, die ich nicht kannte und meine Zukunft und Anne-Marys Zukunft, aber auch die Wolken, die zwei Pferdeköpfe oder das weiße Kleid, ja selbst das Ballspiel gehörte zu dieser Musik. Während ich das alles jetzt aufschreibe, kann ich schon nicht mehr begreifen, wie all dies mit der Musik in meinem Herzen zusammenhängen konnte, aber so war es gewesen.
Wir packten unsere Sachen zusammen, wir sagten nichts, wir wußten was wir meinten und machten uns auf den Weg nach Hause. Irgendwann brach ich das Schweigen und sagte zu ihr:

"Ich bin sicher, du kannst auch nicht hassen, Anne-Mary."

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