Mittwoch, 23. Februar 2011

11.) Claremont, Mai 10, 1890, Spaziergang mit Anne-Mary

 Heute Spaziergang mit Anne-Mary.






 Nach dem Spiel gegen Gorden Town Pumas (6-4 verloren), trafen wir uns und wanderten zusammen in der Umgebung von Claremont. Claremont ist ein kleines Städtchen von ca 5000 Einwohnern und ist am Fuße der Blauen Berge gelegen, die die ganze Insel in Ost-West Richtung durchziehen und uns im Norden vom Süden mit der Hauptstadt Liberty-Stadt trennen. Der eine Teil des Ortes liegt schon in den Hügeln , die dann weiter südwarts schnell zu recht steilen  und hohen Bergen wachsen. Etwas südlich von Claremont waren die sogenannten Blauen Felsen, für die Claremont bekannt ist (und die unserer Ballspielmannschaft ihren Namen gaben). Es sind zwei kahle Felsbrocken, die sehr unvermittelt aus der grünen Hügellandschaft hervorbrechen. Sie scheinen wie ein Miniatur- Gebirge, von Riesenhand willkürlich dorthin gesetzt, als ein Vorspiel auf die wirklichen Blauen Berge, die nur 30 km entfernt sich bis zu 2000m emporschrauben, während die Blauen Felsen nur 50m hoch sind, aber dennoch eine abenteuerlichen Anblick boten und oft, je nach Lichtverhältnissen tatsächlich bläulich schimmerten.




Die nördliche Seite des Ortes öffnet sich aber zu einer Ebene , die sich bis zur Küste hinzieht. Dort in den riesigen Roggenfeldern begannen wir unseren Spaziergang. Wir sprachen vom Ballspiel. Sie fragte mich nach einigen Dingen. Von ihren Brüdern hatte sie wohl schon einiges gelernt, aber natürlich gab es auch Mißverständnisse. So fragte sie zum Beispiel: "C.D. du hast doch den einfachsten Job als Fänger. Alle anderen Feldspieler müssen laufen, du aber hockst nur das ganze Spiel hinter dem Schlagmann". Dabei sprach sie meinen Namen, C.D., mit einer sonderbaren Betonung aus, wie aus einer fremden Sprache, aber ich hatte keine Ahnung welcher. Aber die Art wie sie sprach war so reizvoll und ungewöhnlich, so das es mir schien als hätte ich gerade von ihr einen neuen Namen bekommen.


Ich erklärte ihr ein wenig von den Aufgaben des Fängers (es ist die wichtigste Position beim Ballspiel, außer der des Werfers) und zu meiner Überraschung schien sie aufrichtig interessiert. Einige Male fragte sie nach, wenn ich mich unklar ausdrückte.




Wir näherten uns wieder dem Ort und ließen die Roggenfelder hinter uns. Kurz vor dem Ort war der Friedhof, ich weiß gar nicht mehr wer von und beiden es vorschlug, aber wir machten noch einen Rundgang  zwischen den Gräbern. Glaubt mir, in der kurzen Zeit auf dem Friedhof habe ich mehr von Anne Mary kennengelernt, als wenn wir vier Stunden in einer Tanzhalle zugebracht hätten. Man erfährt viel über das Leben eines Menschen, wenn man den Toten nahe ist. Anne-Mary begann von sich selbst zu erzählen. Ich hatte schon gewußt, daß sie nicht den den Rest ihres Lebens in einer Pension als Hausmädchen arbeiten wollte. Das war es was sie von Wilma, ihrer Kollegin unterschied. Anne-Mary hat einen sehr wachen Verstand, darüber bestand kein Zweifel, aber ihre konkreten Pläne überraschten mich dann doch sehr.Im Herbst wollte sie nach Liberty-Stadt gehen und anfangen an der medizinischen Schule zu studieren. Sie wollte Ärztin werden! Ich hatte gelesen, daß seit kurzem auch Frauen zum Medizinstudium zugelassen waren und sie hatte den Ehrgeiz und den Willen genau das zu tun. Das imponierte mir sehr. Ich konnte nur ahnen wie schwer das Studium überhaupt sein würde und wieviele Hindernisse sie als Frau zusätzlich noch überwinden mußte. Aber schon nach der kurzen Zeit in der ich sie kannte, hatte ich ein Bild von ungeheurer Zielstrebigkeit von ihr gewonnen und ich war überzeugt, daß sie ihr Ziel erreichen würde.
Etwas in Verlegenheit stürzte mich ihre Frage, was meine Zukunftpläne wären. Ich sagte ich wollte ein Meister meines Handwerks werden, ich wollte Fänger in der Seniorliga werden, vielleicht ein All-Stern (d.h. der beste Spieler auf meiner Position), vielleicht ein Meisterschaftsspieler. Sie schien etwas irritiert von meiner Antwort und fragte welchen richtigen Beruf ich denn ausüben wollte. Offenbar dachte sie, das Ballspiel sei eine nette Beschäftigung für Kinder, vielleicht noch für Jugendliche oder etwas kindische Erwachsene. Ich war anderer Meinung, aber in dieser Situation ließ ich ihre Meinung ohne Widerspruch stehen. Auch sie merkte den Zwiespalt und wechselte das Thema.
Sie erzählte von ihrer Familie, ihren Eltern und ihren Geschwistern. Ihre Eltern schienen brave Leute zu sein, die offenbar alles daransetzten den Traum ihrer Tochter, das Studium, zu finanzieren. Reich waren sie nicht, aber ganz arm das waren sie wohl auch nicht. Über meine Familie konnte ich nur wenig berichten. Meine Mutter war tot, dessen war ich mir sicher. Sie wollte nicht glauben, daß ich mich an nichts anderes erinnern konnte und fragte nach meiner Kinderzeit, Schule und Freunde. Aber meine Erinnerung fehlte, besser gesagt sie bestand aus Scherben die ich in meinen Kopf nicht mehr zusammenfügen konnte. Ich sprach Englisch und Deutsch und auch  ein wenig Latein spukte durch mein Hirn, auf welcher Schule ich es gelernt hatte, wußte ich nicht. Das alles mußte Anne-Mary befremden, trotzdem ließ sie ihre Hand in meiner.








Jetzt war es Zeit nach Hause zurück zu kehren. Wir besprachen noch kurz wann wir uns das nächste Mal treffen könnten. Dann standen wir uns noch eine zeitlang schweigend gegenüber und sahen uns in die Augen. In ihren Augen sah ich mein eigenes Spiegelbild, aber es war klarer und anders als ich mich bisher selbst sah. Ich erblickte dort gewissermaßen einen neuen C.D.. Sich selbst in den Augen einer anderen wiederzuerkennen, daß erschütterte mich und bereitete mir gleichzeitig eine unendliche Freude, die weit über diesen Augenblick hinausragte. Zum Abschied sagte sie dann einen Satz, der mich lange begleitete . Ich war mir ungewiss was sie genau meinte. Ging es um mich als Ballspieler, oder um mich als Mensch? Oder um C.D. der Mann, der um seine Vergangenheit strugglte, der von einem Mädchen jetzt das Rätsel seines Lebens geschenkt bekam und gleichzeitig das Versprechen der Lösung dieses Rätsels. War meine Vergangenheit in Scherben, so  könnte doch meine Zukunft eine ganze werden. So lautete ihr Versprechen. Das war die Sprache ihrer Augen. darüber sollte ich noch lange nachsinnen . Sie sagte den Satz:


C.D., du bist ein guter Ballspieler

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